Vom täglichen Frust zur Lust des Entdeckens
In der digital-technisch fokussierten Ära gab einst einen fleißigen Entwicklungsingenieur. Er arbeitete bei einem etablierten Technologiekonzern. Schon recht lange – in diesem Jahr wurden es genau vierzig Jahre – so ein Arbeitserlebnis erfährt heute kaum noch ein Mensch, der jünger ist.
Vielleicht hatte der Entwicklungsingenieur es auch nur so lange dort ausgehalten, weil er eifrig, tapfer und geduldig war. Jede Veränderung in seinem Unternehmen hatte er hingenommen und stets sein Bestes getan, um damit klar zu kommen. Im Prinzip war der Grund seines langen Verweilens ja auch unwesentlich, denn er machte einen guten Job. Das war die Hauptsache.
Aber nun gab es neue Anforderungen. Auch dem Konzern ging es nicht mehr so gut. Überall waren diese Veränderungen, mit denen man kaum noch mithalten konnte. Und die Luft war wahrlich dünner geworden. Es brannte an allen Ecken und Kanten. War an einer Stelle gerade ein Feuer gelöscht, taten sich woanders gleich drei neue Brände auf.
So ruderte und ruderte der Entwicklungsingenieur Tag aus Tag ein bis zur Erschöpfung – umgeben von riesigen Arbeitsbergen, die kein Ende nahmen. Auch sein Privatleben funktionierte nicht mehr. Frustriert und verzweifelt stand er schließlich da – total ausgebrannt. Bis er beschloss, dass es anders werden musste.
Somit geschah es. An einem besonderen Tag mitten im Sommer. Der Entwicklungsingenieur warf die ganzen Unterlagen vor sich zu Boden, verließ in Windeseile sein Büro und beschloss, in die Natur aufzubrechen. Wohin er wollte, wusste er nicht – das war jetzt auch nicht wichtig. Hauptsache raus ins Grüne und woanders hinschauen, denn alltags- und betriebsblind – das war er schon lange genug gewesen. Nun hatte ihn vom täglichen Frust die abenteuerliche Lust des Entdeckens gepackt – einfach ein neues Erlebnis suchen. Und das war exakt der Zeitpunkt, der ihm eine entscheidende Wende bescherte.
Die Leichtigkeit des Seins
Gedacht – passiert. Der Entwicklungsingenieur landete mitten in den Alpen. Beinahe wie ein Märchen kam ihm diese tolle Landschaft vor. Vor allem war es eine ganz besondere Landschaft, die neben den rauen Bergen, glasklaren Seen und zauberhaften Wäldern einen schöpferischen Gedankenprozess in Gang setzte, der alles erschlug, was der Entwicklungsingenieur bislang an Emotion und Energie gekannt hatte.
Inmitten dieser einzigartigen Schönheit war er so weit gegangen, bis er keine Pfade, Markierungen und Wegweiser mehr vor sich hatte, sondern nur noch die unverfälschte Kraft seiner eigenen Gelassenheit. Und die spürte er richtig. Geradezu mit einer verblüffenden Leichtigkeit empfand der Entwicklungsingenieur eine Erlebnislust in sich, die ihn immer weiter durch traumhafte Wälder, Bäche und Wiesen trieb – unmittelbar auf seiner rechten Seite hatte er nur die hohen Berge als spektakuläre Beiwohner seiner abenteuerlichen Naturreise um sich.
Um den Entwicklungsingenieur herum war es still und friedlich – so herrlich ruhig, harmonisch und romantisch waren die Geräusche der Natur: Vogelgesang, das Rauschen des Baches, die Brise eines leichten Windes – hin und wieder vernahm man auch die Laute eines Greifvogels, der majestätisch über den Bergen durch die Lüfte glitt und nach Beute Ausschau hielt. Mit beispielloser Leichtigkeit und der Mimik des vollkommen Gelassenen folgte der Entwicklungsingenieur diesem eindrucksvollen Schauspiel der Natur. Ja, er war überrascht, wie leicht und einfach plötzlich alles war – als hätten Körper und Geist sich energetisiert und sich in einer ungeheuren Kraft verselbständigt, um einem neuen Gefühl der Energie und Dynamik als Ventil zu dienen.
Es war die Leichtigkeit des Seins – in der Welt draußen bis auf die letzte Faser zerstört, um hier drinnen in der Natur wieder bis ins kleinste Detail neu zu entstehen. Der Entwicklungsingenieur war aufgewühlt und bewegt von diesen Ereignissen. Denn jetzt wurde ihm klar, dass er bewusst diesen Weg nach draußen gegangen war, um wieder zu sich selbst zu finden. Hier im Ursprung der natürlichen Welt wurden Sinn und Zweck des eigenen Wirkens und Schöpfens offenkundig. Genau hier, wo die Natur Gefühlschaos, Verwirrung, Rastlosigkeit und Erschöpfung auflöste wie ein Nichts und stattdessen Klarheit, Orientierung und Begrenzung setzte.
Inspirationen eines eifrigen Entwicklungsingenieurs
Jetzt erst erfuhr ich mein wahres Ich – merkte, dass ich lebte. Ich war eins mit der Natur – war ihr ebenbürtig. So erfuhr ich ihre ganze Schönheit tief in mir. Und diese Erfahrung durch meine Seele hindurch konnte nur wirksam werden, weil ich durch diesen Weg eine entscheidende Voraussetzung geschaffen hatte, um die wertvollen Dinge in meinem Leben in eine vollendete Form zu bringen, was zuvor nur produktives Chaos gewesen war – ohne Wert und Nutzen für mich selbst.
Der wundervolle Atem der Natur mit ihrer ganzen Sinnlichkeit, Schönheit und Pracht hatte mir ein gigantisches Territorium für eine neue Kraftquelle eröffnet, durch die mein Leben klar und eindeutig wurde. Diese überwältigenden Berge mit ihrem einzigartigen Panorama ließen mich ein unbeschreibliches Gefühl der Freiheit erleben. Es war, als könnte ich bis hoch hinauf zum blauen Himmel fliegen und den Traum vom Fliegen für mich verwirklichen. Ja, diese felsigen Giganten mit ihren vielschichtigen Gestaltungen natürlicher Phänomene folgten ihren eigenen Naturgesetzen. Wer sich jemals auf der Bergspitze eines solchen imposanten Giganten wiederfand, wird den wahnsinnigen Ausblick und den kristallblauen Himmel, der nachts von tausend funkelnden Sternen übersät ist, nicht mehr aus seinem Gedächtnis bekommen.
Es sind unvorstellbar viele sinnliche Eindrücke, die bleiben. So erzeugt die Natur eine idyllische Stille in einem emotionalen Raum, der von ganz anderen Kräften getrieben wird als die eigens geschaffene Welt des Menschen. Es der stimmige Rhythmus einer sanften Melodie, die das eigene Seelenleben mit neuen Impulsen belebt. Man ist ganz bei sich selbst, seinen Gedanken und Fähigkeiten. Auch die eigenen Grenzen sieht man deutlich vor sich.
So sah auch ich bei diesem außergewöhnlichen Naturerlebnis, dass ich es gar nicht nötig hatte, mir jeden Tag zu beweisen, wie leistungsfähig ich bin. Auch musste ich unangenehme Situationen nicht hinnehmen, die ich nicht länger ertragen konnte. Denn ich mochte mich dann über einen gut gemachten Job freuen, aber das Leben zog an mir vorbei.
Nach der intensiven Begegnung mit der Natur – fern des ganzen zweckrationalen Funktionierens – habe ich die Freiheit erlangt, fortan die spontane Wahl der Farben, Formen und Linien selbst zu bestimmen, die mein Leben beeinflussen.
Ganz bei sich selbst
Diese Haltung in ewigem Verharren und Stillstand, um das Alte, Gewohnte und Gewachsene stets in seiner Komfortzone zu erhalten und nicht sterben zu lassen, wird in der herrlichen Ursprünglichkeit der Natur in ihrem Gedeihen und Vergehen zu einem Prozess der Wandlung und Veränderung. Und genau darin liegt das größte Wunder einer eindrucksvollen Entwicklung, die so richtig viel Kraft besitzt, um das Leben viel bunter und schöner zu gestalten.
Genau dieses außergewöhnliche Naturereignis hatte es geschafft, mich zu wecken. Es war ein besonderes Ereignis, das meine Welt veränderte und mich zu mir selbst führte. Und warum war das so? Weil ich vollkommen losgelöst von allen täglichen Einflüssen in eine neue Welt getaucht war. In dieser Wahnsinnsnatur mit ihren unvergessenen, lebendigen Eindrücken war ich direkt auf einen Kontrast geprallt, der mir die Augen geöffnet hatte.
Ganz bei mir selbst habe ich in der Natur eine sinnliche Entdeckung erfahren, die mein Bewusstsein für das geschärft hat, was ich sehen will und sehen soll. In einer eindeutigen Aussage hat die Natur Wahrheiten ans Licht gebracht, indem sie bewusst Widersprüche und das Verdrängte an die Oberfläche getragen hat. Dadurch war es mir möglich, die eigene Landschaft meiner Seele wie in einem Spiegel zu erschließen, und ich wurde frei.
Ganz bei mir selbst habe ich mich noch niemals zuvor so lebendig gefühlt in dem unerschöpflichen Reichtum von Balance, Zufriedenheit und Lebensglück. Denn die Natur birgt einen unvorstellbaren Reichtum an Facetten, die voller wunderbarer Gefühle stecken.
Und ganz bei mir selbst sage ich nun: spielt bewusst mit Farbe, Form und Linie. Sie stecken in dem Ursprung der Unendlichkeit der Natur. Denn darin liegt eine unsagbare Kraft, welche die Freiheit zum obersten Prinzip erklärt. Und nur durch diese Freiheit wird der Blick für die wesentlichen Dinge wieder klar. Denn die Natur ist die Begegnung in einem Menschen selbst und – im wahrsten Sinne des Wortes – ein wunderbares Geschenk des Himmels.
Herzlichst
© InPrompt Business Services – Autor: Elisabeth Reuter